Der Name Karen ist zum Synonym für eine weisse, privilegierte Frau geworden. Damit werden Frauen öffentlich verunglimpft. Pech für alle, die wirklich so heissen.
Birgit Schmid
4 min
Manche Namen werden ihren Trägern entwendet und beginnen ein eigenständiges Leben zu führen. Sie werden zur Beschimpfung für einen Typus Menschen. «Hans» ist so ein Name. Ingeborg Bachmann hat mit dem «Ungeheuer mit Namen Hans» den mutlosen Mann in allen Männern gemeint. Hans folgt dem Ruf der ungebundenen, verführerischen Frau, um danach in sein bürgerliches Eheleben zurückzukehren.
Eine neuere Schöpfung ist «Jürgen»: Die Influencerin Valentina Vapaux beschreibt so den prototypischen Vertreter der Babyboomer-Generation. Der «Kultur-Jürgen» ist demnach ein Mann um die sechzig, der jungen Leuten die Generation Z erklärt – mit Vorliebe im Feuilleton und ohne eine Ahnung davon zu haben. Es ist kein Kompliment, auf Twitter oder Reddit als «ein weiterer Jürgen» bezeichnet zu werden.
Weder lyrisch noch originell ist die Verwendung des gebräuchlichen Namens Karen, der in den vergangenen Jahren in den USA, aber auch bei uns als gehässige Betitelung beliebt wurde. Eine Karen ist eine weisse, privilegierte Frau zwischen dreissig und fünfzig, die als selbstgerecht und arrogant gilt. Sie putzt die Verkäuferin herunter und will notfalls den Manager sprechen. Sie legt sich mit dem Kindermädchen an oder ruft die Polizei, wenn ihr jemand den Parkplatz wegnimmt.
Oft ist die Person, die sie bedrängt, ein Schwarzer oder eine Asiatin. Denn Karen ist natürlich auch eine Rassistin. Sie ist Impfgegnerin, religiös und wählt konservativ. Eine Karen trägt oft einen blonden Bob und Sportbekleidung. So weit das Stereotyp.
Wer sich wehrt, demonstriert «weisse Überlegenheit»
Bei einem Vorfall in New York wurde eine Frau vor kurzem wieder als Karen identifiziert und diffamiert, ohne dass die genauen Umstände bekannt wären. Und das ist das Problem mit diesem Namen: Es braucht wenig, um ihn verpasst zu bekommen, und nicht immer bleibt es nur bei einem sh*tstorm im virtuellen Raum. Der Name ist voller politischer Implikationen. Manchmal kann er ein Leben zerstören.
So droht die als Karen beschuldigte Frau in New York ihren Job in einem Spital zu verlieren. Das kam so: Die schwangere Frau stritt sich mit fünf afroamerikanischen Jugendlichen um ein Mietvelo. Einer von ihnen filmte das Gerangel, bei dem die Frau mehrmals um Hilfe rief. Darauf wurde ihr in den sozialen Netzwerken vorgeworfen, sie habe auf einen Polizisten oder anderen «weissen» Retter gewartet, um ihre «weisse Vormacht» auszunutzen.
Dass «Karen» das Velo stehlen wollte, wie die jungen Männer behaupteten, scheinen Quittungen des Veloverleihs zu widerlegen. Die Frau wurde mit richtigem Namen blossgestellt, um ihr einen Denkzettel zu verpassen. Federführend waren Aktivisten der «Black Lives Matter»-Bewegung. Die Frau wurde von ihrem Arbeitgeber erst einmal freigestellt. Der Hass bewirkte, dass sie mit ihrer Familie untertauchte.
Die Medien übernehmen den Karen-Begriff und verbreiten Vorfälle mit ausrastenden, weissen Mittelstandsfrauen unkritisch weiter, da Opfer und Täterin für sie von vornherein feststehen. Sie prangern das «Karen-Verhalten» an und fordern: kein Mitleid mit den Karens dieser Welt.
Unrecht ist nicht gleich Unrecht
So geschah es auch in einer als «Central Park Karen» bekannt gewordenen Geschichte. Eine weisse Frau mit Hund und ein schwarzer Vogelbeobachter gerieten im Central Park aneinander, worauf die Frau dem Notruf meldete, sie werde von einem dunkelhäutigen Mann bedroht. Der Fall ging viral, der Frau wurde von ihrem Arbeitgeber gekündigt, sozial war sie erledigt. Sie brauchte psychologische Hilfe.
Die Erzählung von der rassistischen Hundebesitzerin wurde umso weniger hinterfragt, als am selben Tag George Floyd von einem weissen Polizisten getötet wurde. In den sozialen Netzwerken wurde sogar beides gleichgesetzt. Die «New York Times» veröffentlichte in der ersten Woche zahlreiche Artikel, Gastkommentare und Briefe dazu.
Erst die ehemalige «New York Times»-Journalistin Bari Weiss und die Aktivistin Megan Phelps-Roper haben später auf ausgesparte Details im «Central Park Karen»-Fall hingewiesen, die alles in einen neuen Zusammenhang rücken. Letztere verteidigt J.K. Rowling auch gegen Transphobie-Anwürfe und kämpft gegen mediale Vorverurteilungen. Weiss und Phelps-Roper verwiesen auf Quellen, wonach der Vogelbeobachter zuerst aggressiv gegenüber der Hundebesitzerin auftrat. Diesem wurde irgendwann selber unwohl: Er rief dazu auf, die Hassreaktionen auf seine Widersacherin sein zu lassen.
Doch diese Relativierungen wurden kaum beachtet. Dass das K-Wort selber sexistisch und rassistisch sein könnte, zählt ebenfalls nicht. Im Gegenteil: Die Privilegierten würden nun erfahren, was es heisse, diskriminiert zu werden, stand in Artikeln über das Karen-Phänomen, die 2020 von «Süddeutscher Zeitung» bis «Zeit» erschienen sind. «All die Karens halten sich für Opfer und interessieren sich nicht dafür, wie es den wirklichen Opfern dieser Begegnungen geht», empörte sich die «SZ». Wer eine Unrechtserfahrung mit der anderen vergleiche, verharmlose die strukturelle Benachteiligung von Afroamerikanern.
Dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe noch immer herabgesetzt werden, bestreitet niemand. Viele Journalisten verzichten aber auf die Wahrheitssuche, bloss weil eine Geschichte so gut zur eigenen Ideologie passt oder um auf der richtigen Seite zu stehen. Gerät eine weisse Frau in Streit mit den Angehörigen einer anderen Ethnie, ist der Vorwurf, sie spiele ihre eigene Verletzbarkeit aus, reflexartig zur Hand. Eine Karen eben.
Und was sagen die wirklichen Karens? Sie finden die satirische Zweckentfremdung ihres Namens überhaupt nicht lustig. Er wird zur Bürde, sie schämen sich. Frauen jeder, also auch dunkler Hautfarbe.
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